Patentrecht: Ende der Amtszeit von Verfassungsrichter Prof. Huber – Wenn eine Verfassungsbeschwerde die zwölfjährige Amtszeit des für sie zuständigen Richters überdauert (Veröffentlicht am 08.12.2022, zuletzt aktualisiert am 12.01.2023)
Beim BVerfG sind seit Jahren mehrere Verfassungsbeschwerden gegen Handlungen des Europäischen Patentamts anhängig. Öffentlich bekannt sind derzeit jedenfalls fünf solcher Verfahren, nämlich diejenigen mit den Aktenzeichen 2 BvR 2480/10, 2 BvR 421/13, 2 BvR 786/15, 2 BvR 756/16 und 2 BvR 561/18 (nachfolgend „EPA-Beschwerden“), in denen u. a. eine Verletzung der Grundrechte auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) und auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) gerügt wird.
Bekanntlich werden die Entscheidungen des BVerfG – wie auch diejenigen sonstiger Spruchkörper, denen mehrere Richter angehören (sog. „Kollegialgerichte“) – durch den sog. „berichterstattenden Richter“, kurz „Berichterstatter“, vorbereitet. Berichterstatter für die EPA-Beschwerden im zuständigen Zweiten Senat ist Richter Prof. Peter M. Huber, der im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes vor allem für die von ihm ebenfalls als Berichterstatter verantworteten, inhaltlich nicht unbedingt konsistenten Entscheidungen zur europäischen Patentreform bekannt geworden ist.
Die ältesten beiden EPA-Beschwerden, datierend aus den Jahren 2010 und 2013, werden seit dem Jahr 2016 in der sog. „Jahresvorschau“ des BVerfG aufgeführt, die am Anfang eines Kalenderjahres einen Überblick über diejenigen Verfahren gibt, die das Gericht im Jahresverlauf zu entscheiden beabsichtigt. Seit dem Jahr 2021 werden alle vorgenannten EPA-Beschwerden in der Jahresvorschau des Gerichts gelistet. Richter Prof. Huber hat bereits in einer Kommentierung im Jahr 2018 angedeutet, dass er den Rechtsschutz beim EPA möglicherweise als dem vom Grundgesetz geforderten Minimum entsprechend ansieht.
Gleichwohl ist bislang keine einzige der EPA-Beschwerden entschieden worden.
Bemerkenswerterweise ist die zwölfjährige Amtszeit von Richter Prof. Huber, der seit November 2010 amtiert, inzwischen abgelaufen (vgl. § 12 Abs. 1 BVerfGG). Er übt das Amt derzeit kommissarisch aus (vgl. § 12 Abs. 4 BVerfGG), bis die chronisch unschlüssige bundesdeutsche Politik ihren üblichen Mechanismen folgend einen Nachfolger ausgeklüngelt hat (vgl. zu dem entsprechenden Verfahren bereits meinen Artikel hier). Dies bedeutet, dass das Verfahren 2 BvR 2480/10, das vermutlich während der ersten Hälfte des Jahres 2010 anhängig gemacht wurde, die komplette Amtszeit des berichterstattenden Richters Prof. Huber ohne Entscheidung überdauert hat. Seit mehr als zwölf Jahren wartet der Beschwerdeführer hier auf eine Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts über die Vereinbarkeit der gerügten Vorgänge beim Europäischen Patentamt mit seinen Grundrechten. Zu diesen Grundrechten gehört im übrigen auch dasjenige auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG, das (u. a.) eine gerichtliche Entscheidung in angemessener Zeit verlangt und zwar auch durch das BVerfG selbst.
Genügt das BVerfG der ihm durch das Grundgesetz zugeschriebenen Funktion als sog. „Hüter der Verfassung“, insbesondere der Grundrechte, noch? Spielen grundsätzliche rechtsstaatliche Mechanismen und Anforderungen dort überhaupt noch eine Rolle?
Ergänzend sei erwähnt, dass im Zweiten Senat neben Richter Prof. Huber auch die Amtszeit der Richterin Monika Hermanns im November 2022 abgelaufen ist. Auch sie ist derzeit noch kommissarisch im Amt, denn auch ihr Nachfolger steht – wie üblich – noch nicht fest. Da die noch zu ernennenden Richter von einer Mitwirkung an den EPA-Verfahren (zumindest ohne Neustart der Beratung) ausgeschlossen sein dürften, darf man dem weiteren Verlauf dieser Verfahren mit Interesse entgegensehen.
Update (12.01.2023):
Nachdem der zuständige Berichterstatter Prof. Huber am gestrigen Tag vom Bundespräsidenten aus seinem Amt verabschiedet wurde, hat das BVerfG am heutigen Morgen seine Entscheidung der oben genannten EPA-Beschwerden veröffentlicht. Alle fünf Verfassungsbeschwerden wurden zurückgewiesen.
Es bleibt festzuhalten, dass die Beschwerdeführer in diesen Verfahren zwischen mehr als vier (Verfahren 2 BvR 561/18) und mehr als zwölf Jahre (Verfahren 2 BvR 2480/10) auf eine Entscheidung über ihre Verfassungsbeschwerden und damit auf die Gewährung von Rechtsschutz durch das BVerfG warten mussten.
Wie es in der Pressemitteilung über die Verabschiedung von Herrn Prof. Huber heißt, erhielt er vom Bundespräsidenten neben der Aushändigung seiner Entlassungsurkunde „wegen seiner Verdienste um die Bundesrepublik Deutschland (…) bei diesem Anlass das Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland“.
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